Eichtersheim (Baden-Württemberg)

Datei:Angelbachtal in HD.svg Das badische Eichtersheim ist heute ein Ortsteil der Kommune Angelbachtal im Rhein-Neckar-Kreis - ca. 25 Kilometer südlich von Heidelberg nahe Sinsheim gelegen (Karte Kjunix, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Rhein-Neckar-Kreis', TUBS 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Um 1710 siedelten sich die ersten jüdischen Familien unter dem Schutz der Herren von Venningen in Eichtersheim an. Im Laufe des 19. Jahrhunderts bestand hier eine größere jüdische Gemeinde mit Synagoge, Friedhof und einer jüdischen Elementarschule, welche aber nur drei Jahrzehnte bestand (1838–1868).

Ein schlichtes Synagogengebäude wurde Ende des 18. Jahrhunderts (oder um 1805/1810) errichtet. Anfang der 1830er Jahre wurde die Synagoge vergrößert (oder neu erbaut).

                      ehem. Synagogengebäude links (Aufn. J. Hahn, um 1985)

Seitens der Gemeinde war ein Lehrer angestellt (seit 1811 nachweisbar), der neben der Unterweisung der Kinder auch als Kantor und Schochet wirkte. Das rituelle Schlachthaus, in dem wöchentlich unter Aufsicht des Bruchsaler bzw. Heidelberger Rabbinates Vieh geschlachtet wurde, befand sich in der Hauptstraße. Mehr als ein Vierteljahrhundert (von 1875 bis 1903) wirkte in Eichtersheim der Lehrer Abraham Rothschild. Seit 1904 wurde dann die Religionslehrerstelle für Eichtersheim und Michelfeld gemeinsam ausgeschrieben.

Anzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 17.März 1904  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20256/Eichtersheim%20Israelit%2017031904.jpg

Der auf einer Anhöhe an der Straße nach Wiesloch gelegene Friedhof nahm ab 1844 die verstorbenen Gemeindeangehörigen auf; zuvor waren die Toten auf dem israelitischen Verbandsfriedhof im Mühlbergwald von Waibstadt beerdigt worden.

 

jüdischer Friedhof bei Eichtersheim (Luftaufn. O. Braasch  -  Grabstein-Ensemble, J. Hahn)

Seit 1827/1828 zählte die Kultusgemeinde Eichtersheim zum Rabbinatsbezirk Bruchsal.

Juden in Eichtersheim:

--- 1710 ..........................   4 jüdische Familien,

--- um 1770 .......................  12     “       “    ,

--- 1814 ..........................  23     “       “    ,

--- 1825 .......................... 129 Juden (ca. 16% d. Bevölk.),

--- 1839 .......................... 158   "  ,  

--- 1842 .......................... 149   “  ,

--- 1875 ..........................  93   “   (ca. 11% d. Bevölk.),

--- 1886 .......................... 103   “  ,

--- 1900 ..........................  54   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

--- 1910 ..........................  37   “  ,

--- 1925 ..........................  21   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

--- 1933 ..........................  18   “  .

--- 1942 ..........................  ein Jude.

Angaben aus:  Leonard Dörfer, Jüdisches Leben in Eichtersheim

und                  F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden, S. 74

 

Die Juden des Ortes lebten vom Klein- und Viehhandel in der Region. Ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte die Eichtersheimer jüdische Gemeinde um 1840; in den folgenden Jahrzehnten verlor sie fast 60 Gemeindeangehörige, die ihre Zukunft in den USA sahen. Als die badische Regierung 1862 alle Juden zu gleichberechtigten Staatsbürgern erklärte, wurden die Eichtersheimer Juden in das Bürgerbuch der Kommune aufgenommen. Zwischen den jüdischen und christlichen Dorfbewohnern soll insgesamt ein gutes Verhältnis bestanden haben, wenn man von gelegentlichen Konflikten zwischen Bauern und jüdischen Viehhändlern einmal absieht. Für das wirtschaftliche Leben im Dorf spielten jüdische Familien seit dem 19.Jahrhundert eine wichtige Rolle. Mit Beginn der NS-Machtübernahme lebten nicht einmal mehr 20 Juden in Eichtersheim; ihre wenigen Geschäfte kamen in der Folgezeit zum Erliegen. Bis dahin hatten drei Textilwarengeschäfte, zwei Metzgereien und zwei Zigarrenfabriken mit bis zu 90 Beschäftigten existiert.

1938 wurde die jüdische Gemeinde offiziell aufgelöst, die wenigen verbliebenen Juden wurden der Kultusgemeinde Bruchsal zugewiesen. Das Synagogengebäude, das noch vor November 1938 an Privatleute verkauft worden war, blieb in der NS-Zeit unzerstört.

Die meisten der 18 jüdischen Bewohner, die zu Beginn der 1930er Jahre in Eichtersheim gelebt hatten, konnten ihr Leben durch Emigration retten.

Die Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und das "Gedenkbuch - Opfer der Verfolgung der Juden ..." des Bundesarchivs verzeichnet elf in Eichtersheim geborene jüdische Bürger, die dem Völkermord des NS-Regimes zum Opfer fielen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/eichtersheim_synagoge.htm).

 

Heute erinnern nur noch die erhalten gebliebenen Gemeindeeinrichtungen an die einstige jüdische Gemeinde: das Synagogengebäude, das jüdische Schulgebäude an der Hauptstraße und der jüdische Friedhof, der auf einer Fläche von ca. 1.050 m² noch etwa 140 erhaltene Grabsteine aufweist, wobei der älteste aus dem Jahre 1845 stammt.

Eichtersheim Jüdischer Friedhof 786.JPG

Gräberfeld auf dem jüdischen Friedhof in Eichtersheim (Aufn. Reinhardhauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Der Innenraum des Synagogengebäudes wurde jüngst nach altem Vorbild restauriert.                                    

Restauriertes Synagogengebäude (Aufn. P. Schmelzle, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf einem Dachboden eines Hauses in Bruchsal wurde 2009 eine Thorarolle entdeckt, die vermutlich der Gemeinde von Eichtersheim gehörte.

 

 

In Michelfeld, ebenfalls Ortsteil von Angelbachtal, gab es eine recht große jüdische Gemeinde; sie umfasste um 1840 fast 250 Angehörige; 1935 erfolgte ihre Auflösung.

[vgl. Michelfeld (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, in: "Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg", Band 19, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1968, S. 74

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 99

Gustav Schleckmann, Die jüdische Gemeinde in Eichtersheim, in: "Ortschronik von Eichtersheim", 1986, S. 70 - 72

Karol Sidon (Bearb.), Der jüdischer Friedhof Angelbachtal-Eichtersheim, Unveröffentlichte Dokumentation des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Heidelberg 1988

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 461 - 462

Landesdenkmalamt Baden-Württ., Kurzdokumentation des jüdischen Friedhofs in Angelbachtal, Eichtersheim, 1993

Eichtersheim, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 10/11

Leonhard Dörfer, Jüdisches Leben in Eichtersheim, in: Jüdisches Leben im Kraichgau e.V., Mitgliederzeitung 2/2010 (2011 erschienen im Verlag Regionalkultur, Ubstadt)

Ehemalige Synagoge Eichtersheim – Exposé Hauptstraße 37 + 39, Angelbachtal, online abrufbar unter: jlk-ev.de (mit Bildmaterial)